Amateurfussball als Heilmittel

Der europäische Spitzenfussball liegt auf der Intensivstation

Es sind die dunkelsten Zeiten im Fussball seit mehreren Jahrzehnten. Es gab viele Skandale, viele Unverständlichkeiten und viel Protest - nun folgt die metaphorische Krone mit der Gründung der Super League. Spätestens seit der Corona-Pandemie liegt der europäische Profifussball und die Liebe zu diesem auf der Intensivstation und hat nun ein neues Stadium erreicht, während ein wirksames Heilmittel stillgelegt ist: der Amateurfussball. Eine Kolumne in dringender Angelegenheit.

Die Gründung der Super League ist bestätigt. Während die UEFA allen Teilnehmern droht von allen nationalen und internationalen Wettbewerben ausgeschlossen zu werden, schloßen sich sechs englische, drei italienische und drei spanische Spitzenmannschaften zusammen, um einen übernationalen und vollkommen neuartigen Wettbewerb zu realisieren. „Wir werden dem Fussball auf allen Ebenen helfen und ihn an seinen rechtmäßigen Platz in der Welt bringen“, so Florentino Perez, der Präsident von Real Madrid. Wo dieser Platz in der Welt sein soll, fällt bei einer sofortigen 3,25 Milliarden Euro Ausschüttung an die Gründungsmitglieder der Super League nicht schwer. Es ist die Spitze der monetären Entlohnung im Weltsport, welche ohnehin durch den Fußball besetzt wird. Warum der Real-Präsident, übrigens im Namen aller Teilnehmer, dennoch von einem anscheinend noch rechtmäßigerem Platz spricht, lässt sich lediglich durch zwei Dinge erklären: Gier und Entfremdung. 

Dass eine derartige Kolumne hier auf der SVR-Seite entsteht, liegt unter Anderem daran, dass es seit Monaten nicht viel neues und vor allem nicht viel regelmäßiges zu berichten gibt. Der Amateurfußball und so auch die Landesliga Weser-Ems liegen seit Anfang November still. Kein Training, kein Spielbetrieb - zynisch könnte man auch von einem komatösen Zustand sprechen, bei welchem man gar nicht so genau weiß, wann der Patient wieder aufwacht. Dabei stellt dieser Patient, der Amateurfußball, eine echte Chance, vielleicht sogar eine Heilung dar. Eine Heilung von einer Entwicklung, welche in den letzten Jahren und Monaten eine wahrlich erschreckende Beschleunigung genommen hat. Während Transfers unterhalb des dreistelligen Millionenbereichs als fast schon kostengünstig empfunden werden, eine WM zur Weihnachtszeit in Katar stattfinden wird und während zwölf europäische Fussballvereine gemeinsame Sache machen, um unter dem Deckmantel einer scheinheiligen „Rettung“ noch mehr Geld zu verdienen, dann möchte man sich ja fast in ein Heilmittel fliehen. 

Dieses Heilmittel ist recht simpel. Es beginnt häufig an Sonntag Nachmittagen ab 14:00, vielleicht auch 15:00 Uhr in bester Gesellschaft und verläuft mit wohl dosierten Kaltgetränken, fast schon romantisch abgeschmecktem Grillgut und einem Fußballspiel zwischen 22 Akteuren, welche allesamt zwei Sachen gemeinsam haben: keiner verdient ein Vermögen, aber alle freuen sich auf das nächste Spiel am nächsten Sonntag. Die Rede ist vom Heilmittel Amateurfussball - in der derzeitigen Lage vielleicht sogar treffend und leicht überzogen als Impfstoff zu bezeichnen. Die Krankheit? Der moderne Profifußball. 

Dieser derzeitigen Gesamtentwicklung gilt es sich entgegenzustellen und klarzumachen, wofür man als Fussball-Fan und als Gesellschaft steht. Dazu gehört, wenn es die Corona-Pandemie wieder zulässt, dem Amateurfußball seine verdiente Aufmerksamkeit zurückzugeben, welche so ungemein wichtig ist. Neben der lokalen Unterstützung eines Vereins und seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter geht es dabei auch um die Bekennung zu einer gesamten Sparte. Die Sparte Amateurfußball sorgt weltweit für eine großflächige Alternative zum Leistungs- und Profifussball - ein Hobby, eine Leidenschaft. Der Amateurfußball gibt Kindern die Möglichkeit Freundschaften zu schließen und sich und andere auf einer sportlichen Ebene besser kennenzulernen. Der Amateurfussball verknüpft Hobby und Leidenschaft - in allen Altersgruppen. 

Deshalb sollten wir, sobald es die Corona-Pandemie wieder sinnvoll und ungefährdet möglich macht, dem Amateurfussball zurückgeben, was er uns in der Vergangenheit gegeben hat - Treue, Leidenschaft und Anerkennung. Vielleicht hilft auch diese Verschiebung der Aufmerksamkeit dem 'kränkelnden' europäischen Spitzenfussball - der SVR wünscht eine gute Besserung!

Leon Salzsieder

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